Zweigeschlechtlichkeit ist eine Konstruktion, die unseren Alltag grundlegend
durchzieht und strukturiert. Die Annahme, dass es "natürlicherweise" zwei Geschlechter gäbe, ist in unserer Gesellschaft so verwurzelt, dass Menschen immer wieder gerne, fast ein bisschen
verzweifelt, behaupten: "Es gibt doch aber nunmal zwei Geschlechter!"
Ein Gespräch.
"Es gibt doch aber nunmal 2 Geschlechter! Männer und Frauen, die in ihrem Wesen
verschieden sind!"
"Inwiefern verschieden?"
"Na, dass Männer zum Beispiel mehr mit Technik am Hut haben, und Frauen mehr mit
Kommunikation und so."
"Was sind denn Männer und Frauen?"
"Wie jetzt?"
"Also woran machst du das fest, ob jemand Mann oder Frau ist?"
"Na an den Genitalien, das ist doch eindeutig."
"Aber selbst dann gibt es mehr als zwei Geschlechter, gibt ja genügend
Menschen, die nicht mit eindeutig männlichen oder weiblichen Genitalien geboren werden."
"Aber das sind doch Ausnahmen!"
"Naja, immerhin etwa 4 Prozent aller Menschen.
"Tatsächlich?"
"Ja."
"Okay, aber sprechen wir doch von den anderen, die also mit 'eindeutigen' Genitalien
geboren werden - dann ist doch klar, die einen sind also Männer, die anderen Frauen."
"Und die Genitalien bestimmen also das Wesen eines Menschen, oder
wie?"
"Naja, nein, aber damit hängt ja wieder viel mehr zusammen: Die Chromosomen zum
Beispiel, XX oder XY. Die Bewirken dann die Ausbildung von Genitalien, das Aussehen und schließlich die Hormone, und die wirken sich wiederum auf das Wesen eines Menschen
aus."
"Du hast Recht, in unserer Gesellschaft wird Geschlecht an all diesen
Dingen festgemacht: Chromosomen, Genitalien, Aussehen, sogar Stimmlage, und wird schließlich noch über Hormone begründet. Aber wie kommst du darauf, dass das alles immer
zusammen hängt? Schließlich gibt es Menschen, deren äußeres Erscheinungsbild nicht ihrem gonadalen Geschlecht entspricht oder gar nicht 'eindeutig' 'männlich' oder 'weiblich'
ist, oder Menschen, deren Stimmlage wiederum nicht zu ihrem Aussehen zu 'passen' scheint. Und schließlich gibt es auch Menschen, deren äußere Geschlechtsmerkmale nicht mit den
Chromosomen einhergehen, zum Beispiel XY-Frauen, die trotz 'männlichem' Chromosomensatz oft eine weibliche Erscheinung haben."
"Echt?"
"Ja. Es gibt also verschiedene Faktoren, die Geschlecht ausmachen, die aber völlig
gegenläufige Ergebnisse haben können."
"Wenn also all diese Merkmale auf eine bestimmte Art und Weise zusammenspielen
müssen, damit wir auf, sagen wir 'biologische Art und Weise' einen Menschen einem von zwei Geschlechtern zuordnen können - dann sind ja die wenigsten Menschen so eindeutig
zuordenbar!"
"Ja, vielmehr scheint es auch biologisch eine Vielfalt von Geschlechtern zu
geben, bzw. sind die Grenzen zwischen den klassischen Geschlechterkategorien fließend."
"Hm."
"Aber denken wir doch weiter. Anhand von nicht haltbaren, nur scheinbar
biologischen Kategorien, haben wir auch gesellschaftlich eine zweigeschlechtliche Norm aufgemacht - genau zwei Geschlechter nehmen wir im Alltag wahr und schreiben ihnen bestimmte
Eigenschaften zu, zum Beispiel seien 'Männer' aggressiver, 'Frauen' hingegen emotionaler.."
"Wenn wir aber nun bedenken, dass Geschlecht gar keine so klare Sache ist, dass also
auch Hormone, die ja immer für Verhaltenszuschreibungen herangezogen werden, demnach eben so uneindeutig zwei und nur zwei 'Geschlechtern' zugeordnet werden können
...."
"Ja, dann verliert alles seine Einfachheit. Mir hat mal jemand gesagt: "Hüte
dich vor Menschen, die dir einfache Erklärungen für komplexe Realitäten anbieten.""
"Hm.."
"Aber das Problem ist ja, dass wir diese zwei vereinfachten Kategorien, die
wir da konstruiert haben, sich selbst bestätigen lassen: Wie reagieren wir zum Beispiel auf eine aggressive, laute Person, die wir aber als 'Frau' sehen, und die sich vielleicht auch
selbst so sieht? Wir erkennen nicht, dass an unseren Kategorien, unseren Geschlechtszuschreibungen was falsch sein muss, sondern wir behaupten einfach, die Person sei "unweiblich"
..."
"Wie perfide! Wir behaupten einfach, der Mensch sei falsch, nicht die
Zuschreibung."
"Und da behaupte nochmal jemand, Zweigeschlechtlichkeit und Rollenbilder seien
'natürlich'.. Vielmehr sollten wir darüber nachdenken, welche Rolle Sozialisation bei all dem spielt."